Sonntag, 13. November 2016

Luther-Geburtstagsfeier: So geschichtsvergessen wie befürchtet

Am 10. November veranstaltete die evangelische Kirche in Ludwigsburg eine "Geburtstagsfeier für Martin Luther", nur zwei Stunden nach der Gedenkveranstaltung an die Reichspogromnacht auf dem Synagogenplatz. Zwei Aktivistinnen der Rot-Schwarzen Initiative haben die Martin-Luther-Feier besucht: Die Kirche hat ihre Zusicherung, Luther auch kritisch zu beleuchten, nicht eingehalten. Lediglich von einem "schwierigen Verhältnis" Luthers zu Jüd*innen war die Rede. Der Reformator hatte seinerzeit dazu aufgerufen, "die Synagogen und Schulen der Juden niederzubrennen".

"Von den Juden und ihren Lügen" heißt Martin Luthers Hetzschrift, in der er seitenweise gegen Jüd*innen hetzt: "(...) Darum wisse du, lieber Christ, und zweifle nicht daran, dass du nächst dem Teufel keinen bitteren, giftigeren, heftigeren Feind hast als einen rechten Juden, der mit Ernst ein Jude sein will (...)." Selbstverständlich gibt er auch praktische Tipps, wie ein*e anständige*r Christ*in mit diesen "heftigen Feinden" umzugehen hat: Von Synagogen, Schulen und Häuser niederbrennen über die Todesstrafe für Rabbiner bis hin zur Zwangsarbeit und Vertreibung ist alles dabei. So verwundert es nicht, dass der Katholik Adolf Hitler 1923 begeistert von Luther schwärmte: "Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung, sah den Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen." Vom 9. auf den 10. November 1938 töteten die Nazis tausende Jüd*innen und zerstörten Synagogen, jüdische Geschäfte, Gebetshäuser, Schulen und Wohnungen - die Synagoge in Ludwigsburg am 10. November.

Debatte im Vorfeld: Kirche verspricht kritischen Umgang


Die beiden Stadträt*innen von ÖkoLinX-Antirassistische Linke hatten in einer Presseerklärung die Martin-Luther-Geburtstagsfeier allgemein und die Wahl des Datums speziell scharf kritisiert und die Absage der Feier gefordert. Sie betonten, dass die heutigen Mitglieder, Pfarrer*innen und Dekan*innen weder an Luthers Schriften noch an den Verbrechen der evangelischen Kirche während der NS-Zeit die Schuld tragen, jedoch dafür verantwortlich seien, wie sie mit der Geschichte umgehen. Der Ludwigsburger Dekan Winfried Speck antwortete noch am selben Tag. Wörtlich heißt es in der Antwortmail: "Wenn wir als evangelische Christen nun zu einem „Geburtstagsfest“ für Martin Luther einladen, dann tun wir das nicht im Sinne einer unkritischen „Heldenverehrung“ vergangener Jahrhunderte und erst recht nicht als Versuch einer „Heiligsprechung“ Martin Luther Luther war kein Heiliger. Wir wissen um die fürchterliche Saat, die sein Antijudaismus gesät hat, und werden sie auch jetzt nicht verschweigen. Bereits bei der Eröffnung des „Geburtstagsfestes“ wird Dekan Reiner Zeyher die besondere Bedeutung und die Problematik dieses Abends reflektieren."

Kritischer Umgang bleibt aus

 
Ursprünglich hatten wir vorgehabt, vor der Friedenskirche Flyer zu verteilen. Doch nach dieser vielversprechenden Antwort waren wir gespannt, wie die Kirche "die Problematik dieses Abends reflektieren" würde. Dekan Zeyher sprach in seiner Begrüßungsrede von einem "schwierigen Verhältnis", das er nicht weiter ausführte. Eine nette Umschreibung für Vertreibung, Zwangsarbeit und das Niederbrennen von Synagogen. So gesehen hatte Stalin ein "schwieriges Verhältnis" zu Trotzki.
 
"Was du bist, machst nicht du, sondern Gott allein."



Prof. Dr. Holger Leppin schnitt das Thema ebenfalls kurz an, nachdem er ausgiebig davon erzählte, wie tapfer er sich durch den Stau gequält hatte, nur um an diesem Abend in der Kirche sprechen zu können. "Martin Luther ist uns in seinen Aussagen zum Judentum fern." Fern war auch der Abend von einer kritischen Auseinandersetzung mit Luther, resümieren unsere Genossinnen. Stattdessen viele überschwängliche Lobhudeleien und alberne Clown*innen - so wie man es bei einer solchen Geburtstagsfeier eben auch erwarten würde. Allerdings hatten wir uns in Anbetracht der Debatte im Vorfeld etwas mehr erhofft.



Martin Luther, Von den Juden und ihren Lügen: https://archive.org/stream/VonDenJudenUndIhrenLuegen/LutherMartin-VonDenJudenUndIhrenLuegen154318S._djvu.txt

Presseerklärung von ÖkoLinX-Antirassistische Linke sowie Antwort von Dekan Winfried Speck im Wortlaut: https://www.facebook.com/oli.kube/posts/10210851420267768 


Bonusmaterial: 

Auf die weiteren Inhalte der Veranstaltung einzugehen, würde den Rahmen eines Blogeintrags sprengen. Einige Höhepunkte möchten wir euch jedoch nicht vorenthalten:

Siegrid Zimmerling (IHK Ludwigsburg):

"Durch Luther erblühte das Durckergewerbe, der Vorgänger von Social Media."

"Luther war der erste Star des Medienzeitalters."

"Die Deutschen sind ein Volk erst durch Luther geworden." (Anm. der beiden Genossinnen: Brechreiz!) 

Prof. Dr. Leppin:
 
Zu seiner Stau-Geschichte: "Warum erzähle ich Ihnen das? Natürlich um Ihnen zu zeigen wie wichtig es mir ist, zu Ihnen zu kommen; wie froh ich bin, dass ich doch angekommen bin, aber auch weil ein solcher Abend mitten in der Woche, ein Geburtstagsabend einem zeigt in welcher Gesellschaft wir leben." (Anm. RSI: Und wir dachten immer, wir müssten die Gesellschaft anaysieren, dabei muss man doch nur mal auf einen Geburtstagsabend mitten in der Woche gehen. Wir Dummerchen.)

"Alles was wir brauchen haben wir schon. Du musst nirgends anderst suchen als in den Wunden Christi."  (Kopfkino)