Wir rufen
weder zur Wahl noch zum Wahlboykott auf. Wir möchten jedoch auf einige Punkte
aufmerksam machen. Eine komplette Analyse kann in einem einzelnen Blogeintrag, den es auch als Flugblatt gibt, natürlich
nicht geleistet werden.
Was wird gewählt?
Ein Blick
auf den Wahlzettel gibt Aufschluss: Es geht um die Person und die Partei, die
man gerne (stärker) im Bundestag vertreten hätte. Da stehen keine politischen
Maßnahmen, zwischen denen die Wählerschaft sich entscheiden kann. Es wird nicht
danach gefragt, weshalb jemand eine bestimmte Partei wählt - und es ist auch
unwichtig. Gleichzeitig ist die Stimmabgabe automatisch die aktive Zustimmung,
dass weiterhin andere bestimmen, wie die Gesellschaft verwaltet wird und an
welche Gesetze sich die Bürger*innen zu halten haben – ohne dass es möglich
wäre, mit „nein“ zu stimmen. Die Stimmabgabe bei der Wahl ist zunächst das
ausdrückliche „Ja“ zum Regiert-werden.
Was wird nicht
gewählt?
Dafür dass
viele Wahlkämpfer*innen und -befürworter*innen so furchtbar gute Demokrat*innen
sein wollen, sind doch sehr erstaunliche Ansichten darüber verbreitet, worüber
die Wähler*innen angeblich entscheiden: Die Zukunft Deutschlands, die Systemfrage
oder zumindest einen „Politikwechsel“, die „Gestaltung“ der Gesellschaft oder
die Wahlprogramme der Parteien. Dabei steht sogar im Grundgesetz (Art. 38,
Absatz 1, Satz 2), dass Abgeordnete „an Aufträge und Weisungen nicht
gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind.
Der Zweck
des Regierens steht nicht zur Wahl: Es geht darum, politische Rahmenbedingungen
für ein insgesamt erfolgreiches kapitalistisches Wirtschaften zu schaffen,
damit der Laden nach innen läuft und nach außen konkurrenzfähig ist. Das ist
gemeint, wenn auf Wahlplakaten oder in Talkrunden von „Deutschland“ und seinen
Interessen die Rede ist. Die meisten Bürger*innen glauben, dass ihr Wohlergehen
da doch mitgemeint sein müsste. Sie sind dann enttäuscht und empört, wenn sie
im Alltag feststellen, dass ihre Interessen kaum oder gar nicht zum Zug kommen.
Egal wie die Wahl ausgeht: Wir werden immer noch Kapitalismus haben und somit
Ausbeutung durch Lohnarbeit. Der Staat wird weiterhin sein Gewaltmonopol
ausüben um diese Ordnung durchzusetzen und nach außen wirtschaftlich und
militärisch seine nationalen Interessen durchsetzen – und damit tausende von
Menschenleben in der sogenannten Dritten Welt vernichten.
Der Wahlkampf – die Zeit unseriöser Politik
„Das ist
reiner Wahlkampf, was Sie machen“, werfen Spitzenpolitiker*innen ihren
Konkurrent*innen gerne vor, wenn diese eine populäre Ansicht vertreten. Auf
Parteitagen wird beraten, was man dem „Volk“ erzählen muss, um möglichst viele
Stimmen zu bekommen. Es geht nicht etwa darum, ein bestimmtes
gesellschaftspolitisches Ziel zu erreichen, sondern nur darum, wie die Partei
die Wähler*innen am besten ködert. Dass Wahlversprechen nicht ernst gemeint
sind, bestreitet kaum ein*e Politiker*in: Kompromissfähigkeit (also hinterher
das Gegenteil von dem zu machen, was man vorher versprochen hat) ist das A und
O „seriöser“ Politik. Franz Müntefering (SPD) behauptete seinerzeit, es sei
„unfair, Politiker an ihren Wahlversprechen zu messen.“
In der
Bevölkerung ist die Ansicht, dass „die Politiker doch eh machen was sie wollen“
oder der Spruch „Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie verboten“ weit
verbreitet. Die meisten Bürger*innen wissen sehr wohl, dass ihre Wahlstimme
nichts oder so gut wie nichts bewirkt. Trotzdem sind oft dieselben Leute absolut
davon überzeugt, dass es unglaublich wichtig ist, wählen zu gehen.
Dass man überhaupt wählen geht, ist das wichtigste –
aber für wen?
Die Kandidat*innen
haben natürlich das Interesse, gewählt zu werden. Soweit so offensichtlich.
Doch immer wieder hört man von Parteivertreter*innen, Gewerkschaften, dem
Bundespräsidenten und anderen, das Wichtigste wäre, dass man überhaupt wählen geht. Auf den ersten Blick
erscheint das seltsam, denn die Wahlbeteiligung spielt für’s Ergebnis keine
Rolle, weder für die Anzahl der Abgeordneten noch für die Regierungsbildung. Es
zählen die gültigen abgegebenen Stimmen. Auffällig ist auch die Umkehrung:
Nicht die Bürger*innen wollen unbedingt wählen gehen, sondern Staat und Politik
versuchen alles, um die Bürger*innen zum Urnengang zu motivieren. Die Wahl
liegt offensichtlich nicht primär im Interesse der Bürger*innen, sondern im
Interesse des Staats. Eine hohe Wahlbeteiligung bedeutet immerhin eine
allgemeine Zustimmung zu den herrschenden Verhältnissen, auch für
Wahlverlierer*innen ein Trost. Bei einem hohen Anteil an Nichtwähler*innen wird
das Staatspersonal schnell nervös. Zwar bedeutet nicht-wählen keineswegs,
umstürzlerische Pläne zu haben, aber Nichtwähler*innen verweigern den
Herrschenden ihre aktive Zustimmung. Die Gründe dafür sind unterschiedlich.
Politiker*innen und Vertreter*innen von Institutionen rätseln, wie der Staat
das „Vertrauen“ der Menschen zurückgewinnen kann. Es ist also nicht so, dass
wählen „nichts bringt“. Es bringt nur nichts für die Wähler*innen, sondern für
die Gewählten und den Staat als Gesamtes.
Das kleinere Übel
Das
Argument, man müsse eben das kleinere Übel wählen, um ein größeres Übel zu verhindern,
ist an sich schon verräterisch: Es ist von vorherein klar, dass es ein Übel
ist, dem man da seine Stimme gibt. Hinzu kommt, dass es keinerlei Garantie
dafür gibt, dass das kleinere Übel sich nicht ganz schnell als das größere Übel
entpuppt, sobald es gewählt ist. SPD und Grüne wurden 1998 als kleineres Übel
an die Regierung gewählt und betrieben Sozialabbau in einem Ausmaß, wie es sich
die vorherige Regierung aus CDU und FDP unter Helmut Kohl nicht getraut hatte.
Das Parlament als Bühne
Man könne
das Parlament als Bühne und Sprachrohr für außerparlamentarische Bewegungen
nutzen – und Sand im Getriebe der kapitalistischen Staatsmaschinerie sein.
Durch gute und konsequente Oppositionsarbeit Aufklärung betreiben, den
kapitalistischen Normalbetrieb stören und sogar kleine Zugeständnisse
erkämpfen. Grundsätzlich widersprechen wir da nicht. Dass Parlamentarier*innen
eine größere öffentliche Aufmerksamkeit genießen, ist offensichtlich. Eine*r
unserer Genoss*innen sitzt seit 2014 im Ludwigsburger Gemeinderat, was schon
einige Male Vorteile für die politische Arbeit der RSI oder in Bündnissen mit
sich brachte.
Es gibt
jedoch derzeit keine relevante Partei, die diesen Zweck im Bundestag erfüllen
könnte oder möchte. Die Linkspartei träumt mehrheitlich von der
Regierungsbeteiligung, verschreibt sich also den Zwecken des Staats. Sie hat
also insgesamt nicht einmal den Anspruch an sich selbst, diese Rolle zu
erfüllen. Zumal es derzeit auch keine linke außerparlamentarische Bewegung
gibt, die eine linke Partei durch Parlamentsarbeit unterstützen könnte.
Wahlboykott als Protest?
Manche
Kommunist*innen und Anarchist*innen glauben, nicht-wählen wäre schon eine Form
des Protests oder gar Widerstands. Wie oben dargelegt, spielt die
Wahlbeteiligung für’s Wahlergebnis keine Rolle. Deshalb geht es uns auch nicht
darum, eine Boykott-Kampagne zu fahren. Wir möchten dazu aufrufen, sich
tiefergehend mit den Zwecken des Staats und seiner Wahlrituale zu befassen. Die
Erkenntnis, dass wir weder durch Wahl noch durch Wahlenthaltung die
Gesellschaft nach unseren Vorstellungen ändern können, lässt uns keineswegs
resignieren. Im Gegenteil: Wer eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, Krieg, Armut
und Umweltzerstörung möchte, sollte sich mit gleichgesinnten Menschen außerparlamentarisch
organisieren und die Sache selbst in die Hand nehmen.