Montag, 20. März 2017

Interview: Austritt aus Linkspartei nach 12 Jahren

"Fuck you, Linkspartei! Ich will wieder in den Spiegel schauen können!" - Mit diesen Worten ist Ryk Fechner nach über zwölf Jahren aus der Linkspartei ausgetreten. Er war zweieinhalb Jahre lang Landessprecher der Linksjugend ['solid] Baden-Württemberg und sieben Jahre lang im Kreisvorstand der Linkspartei in Konstanz - jeweils mit Unterbrechungen. Hauptsächlich organisierte er Veranstaltungen, motivierte zahlreiche junge Menschen für linke Politik und machte Öffentlichkeitsarbeit für Partei und Jugendverband. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Antimilitarismus, Antirassismus und Hedonismus. Wir haben mit ihm über die Hintergründe seines Parteiaustritts gesprochen - und darüber, wie eine erfolgreiche linke Öffentlichkeitsarbeit aussehen kann.



RSI: Hallo Ryk. Zwölf Jahre Mitgliedschaft und Engagement in einer Partei ist eine lange Zeit. Tag Eins nach dem Austritt: Wie geht es dir?

Ryk: Naja, ich atme, trinke nach sieben Stunden Erwerbsarbeit mein Feierabendbierchen und stelle fest, dass die Welt nicht untergegangen ist. Die Reaktionen waren weitgehend solidarisch. Dass meine Beweggründe nicht allen schmecken und dass das auch zum Ausdruck gebracht wird, davon muss man ja ausgehen. Also geht es mir gut so weit, würde ich sagen.

RSI: In deiner Austrittserklärung gehst du mit der Partei hart ins Gericht. Du schreibst unter anderem, dass Rassismus und Antisemitismus in der Linkspartei stark vertreten seien. Was waren vor zwölf Jahren deine Gründe, in die PDS einzutreten?

Ryk: Haha, eigentlich Gründe, die man so hat, wenn man aus den neuen Bundesländern kommt und ein Großteil der Verwandtschaft in weiten Teilen dem Ostblock hinterherjammert. 
2004 machte die Schröder-Regierung Stimmung für die Agenda 2010 und Hartz IV stand vor der Tür, Schröder und Fischer stimmten Jahre zuvor dem Bundeswehreinsatz auf dem Balkan zu und ich selbst fand Militärs eigentlich immer nur in PC-Spielen spannend. Im wahren Leben kann ich mir bis heute nicht vorstellen, weswegen sich Menschen einen solchen Stress geben und Krieg spielen.

Intensive Auseinandersetzungen mit den Themen Rassismus, Antimilitarismus, Sexismus, Homo- und Queerphobie kamen erst während der Uni-Zeit dazu.

RSI: Lag - rückblickend betrachtet - damals schon einiges im Argen oder hat sich das alles erst mit der Zeit entwickelt?

Ryk: Sicher war nie alles Friede, Freude, Eierkuchen. Das erwartet man auch nicht, wenn man in eine Partei eintritt, die mäßig geschickt mit der eigenen SED-Vergangenheit umgeht. Da sind wir auch schon beim von mir genannten Austrittsgrund "Pressearbeit": Öffentlich hätte permanent kommuniziert gehört, dass die Parteibasis 1989 und 1990 bereits dokumentiert und festgehalten hat, dass ein "Sozialismus von oben" nicht gelingen kann und dass bereits festgestellt wurde, dass die innerdeutsche Grenze eine schlechte Idee war.

Warum hat DIE LINKE an dieser Stelle nicht Folgendes versucht: "Die Lehre muss sein, dass an Grenzen Menschen sterben. Grenzziehungen sind von den wenigsten von uns aktiv veranlasst worden, innerhalb welcher wir geboren sind ist blanker Zufall. Wenn wir die Lehren aus der Geschichte ziehen wollen, muss das heißen, dass auch Europa die eigenen Schutzwälle abbaut. Es ist zynisch, wenn man 1.000 Mauertote in 40 Jahren beschwört, aber die heutige Grenze um Europa außer Acht lässt, an der das Sterben noch weit präsenter ist." Es geht dabei nicht um das Aufwiegen von Toten, sondern darum herauszustellen, dass man radikal humanistisch sein muss, wenn man will, dass inhumane Taten aufhören.

Ich erwarte gar nicht, dass die Leute alle mit der Gesamtausgabe von Marx' Kapital fertig auf die Welt kommen und am siebten Tage nach der Erschaffung fließend emanzipatorisch sprechen. Man könnte aber von einer selbsternannten sozialistischen Partei erwarten, dass sie Bildungsangebote für ihre Mitglieder schafft, dass umgekehrt aber auch Mitglieder versuchen, ein Gespür für die politische Gesamtheit zu entwickeln.

Es reicht nicht, nur gegen Hartz IV zu wettern und den Parteipromis zuzuklatschen, wenn Schlagworte fallen. Mir ist zunehmend klar geworden, dass Parteitage oft den Charakter einer Jubelveranstaltung haben. Auf dem Podium zählt jemand auf, dass er bei der Gewerkschaft, gegen Krieg, im Betriebsrat ist – der Applaus kommt auf entsprechende Stichworte. Oder er*sie heißt Gregor, Sahra oder Oskar, da wird das Spiel noch ein bisschen intensiver und unkritischer gespielt. Das hat einen sehr religiösen Charakter. Dabei bin ich doch politisch und nicht religiös.

Um es kurz zu machen (der Zug ist abgefahren, lieber Ryk; Anm. RSI): Ja, diese Probleme bestehen nicht erst seit meinem Eintritt. Sozialismus lebt davon, sich und die individuellen und kollektiven Positionen sinnvoll und menschenfreundlich weiterzudenken. Das muss auch die Linke erkennen.

 

Ausschlussantrag gegen Lafontaine wurde einfach nicht bearbeitet

 
RSI: Du bist niemand der einfach so das Handtuch wirft. Du hast - gemeinsam mit dem damaligen Landessprecher*innenrat der Linksjugend Baden-Württemberg - einen Ausschlussantrag gegen Oskar Lafontaine eingereicht. Was war der Anlass und wie ging es aus?

Ryk: Der Anlass war ein Interview im Dezember 2015, in dem Lafontaine sich dafür rühmte, dass er mit der SPD Mitte der 1990er das Grundrecht auf Asyl beschränkt hatte. Das tat er, um die Neonazistrukturen in den neuen Bundesländern zu befrieden, nachdem 1991 und 1992 Geflüchtetenunterkünfte in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen brannten. Er verkündete im Interview, er würde dies jeder Zeit wieder tun. Er bekennt also nach dem Wechsel in eine angeblich antirassistische Partei, dass er erneut dem Bellen von Rassist*innen folgen würde, statt sich hinter die Opfer von Hunger, Krieg und Vertreibung zu stellen.

Ende des Ausschlussantrags war, dass ich gar nichts mehr gehört habe – er wurde schlichtweg nicht bearbeitet. Ich frage mich, wie oft man offensichtlich rassistischen Käse erzählen kann, um sich weiterhin im Namen der LINKEN äußern zu dürfen? Durch sein Handeln sind nach 1993 um ein Vielfaches mehr Asylbescheide negativ beschieden worden. Ist es rühmlich, wenn man es leichter macht, dass Menschen zurück in Kugeltod, Hunger und Elend zurückgeschoben werden?

RSI: Du schreibst in deiner Austrittserklärung, dass du das Thema Antisemitismus nicht mehr untergebracht hast. Viele Menschen wollen immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich Antisemitismus in der Linkspartei gibt. Was waren aus deiner Sicht die eindeutigsten und gravierendsten Vorkommnisse in den letzten Jahren?

Ryk: Mir fällt da ein, dass mal in NRW eine Pro-Palästina-Demo organisiert wurde von Seiten der Linksjugend, von der sich anschließend arabische Nationalisten abspalteten, um eine Synagoge anzugreifen. Oder die Pro-Palästina-Kundgebung, auf der Annette Groth (MdB, tritt 2017 nicht erneut an; Anm. RSI) von den Kriegsparteien im Nahostkonflikt forderte, dass "Männer den Krieg unter sich ausmachen sollten und nicht Frauen und Kinder hineinziehen." Dass auf derselben Demo nach ihr ein Neonazi aus Sachsen-Anhalt sprach, und frenetisch bejubelt wurde, als er zum Boykott aller israelischen Produkte aufrief. Meines Wissens hat sich Groth bis heute nie dazu verhalten.

RSI: Auch hier hast du versucht, diesen Tendenzen parteiintern entgegenzuwirken. Was genau hast du unternommen und wie hat die Partei darauf reagiert?

Ryk: Auf dem Landesparteitag am 6. und 7. Dezember 2014 sollte ich für die Linksjugend einen Redebeitrag halten. Die Message: Es kann einerseits nicht angehen, dass einige LINKE-Bundestagsabgeordnete durch die Falltür "Friedenseinsatz der Bundeswehr" gehen, andererseits ist es ziemlich uncool, wenn andere LINKE-Bundestagsabgeordnete am 9. November die Bundestagsräume der Fraktion dazu nutzen, um gemeinsam mit zwei Journalisten gegen Israel zu wettern - was im berühmten Toiletten-Gate mündete, als die beiden Journalisten Gregor Gysi bis auf’s Klo verfolgten.

Wir wollten klarstellen, dass wir beides nicht gut finden. Im Vorfeld gelangte der Redebeitrag bis zur Partei und es folgten ein paar Anrufe, die klarmachen sollten, dass Kritik nicht gerne gesehen ist, wenn Presse vor Ort ist. Eine selbsternannt pluralistische Organisation sollte doch aber öffentlich darauf aufmerksam machen können, dass es diverse Dinge gibt, die diskutiert gehören. Kuscheln kann ich auch daheim, Politik muss hingegen streitbar und kontrovers sein.

RSI: Rassismus und Antisemitismus in der Linkspartei sind schon fast ein alter Hut. Doch du sprichst in deiner Erklärung auch an, dass auch queere Themen manchmal schwierig sind. Wie genau äußert sich das?

Ryk: Zum Glück ist das nicht ganz so heftig wie beim Antisemitismus beispielsweise. Transmenschen werden schon mal schief angeschaut und ich spüre eine gewisse Distanziertheit, wenn es um Sexismus und Homophobie geht. Immerhin: Diese Baustelle wird sich irgendwann buchstäblich überleben. Das Problem sehe ich hier vor allem in einer mangelnden Reflexion von White Male Privileges, von den Privilegien weißer Männer. Ich habe es bei CSDs mehrfach erlebt, dass der Anteil an Frauen und Menschen aus dem Jugendverband bei Aktionen der Partei schlagartig erhöht, wenn es um Queer-Themen geht. Da stehen weniger Männlichkeitsideale im Vordergrund.

Ein anderes Beispiel außerhalb der Partei, was mir lebhaft in den Kopf kommt, ist eine Veranstaltung des DGB in Singen am 1. Mai, als den Tag über hauptsächlich Männer mittleren Alters am Mikrofon den Inhalt skandierten, während die Töchter der beteiligten Familien die Funkenmariechen mimen durften. So was habe ich in der LINKEN glücklicherweise nie mitbekommen.

Gesellschaftliche Perspektiven selbstbewusst nach außen tragen

 

RSI: Müsste eine Partei, die sich selbst als antifaschistisch versteht, nicht ein Interesse daran haben, rassistische und antisemitische Tendenzen in den eigenen Reihen zu bekämpfen? Alles nur Promi-Bonus für Lafontaine und Wagenknecht und Geld-Bonus für Dehm?

Ryk: DIE LINKE muss sich für gesellschaftliche Perspektiven dringend darüber Gedanken machen, wie sie bildungspolitische Angebote an alle heranträgt. Ich bin leidenschaftlicher Vortragsgänger, damit immer ein gewisser Grundstock für eine menschenfreundliche, fundierte linke Argumentation vorhanden ist.

Dann würden sich auch mehr LINKE-Mitglieder darüber aufregen, was ihre Parteispitze da permanent vom Stapel lässt. Lafontaines und Wagenknechts Antworten sind zu einfach und folgen der Logik "Weil Flüchtlinge da sind, ist mein Wohlstand bedroht". Dass durch deutsches Wirtschaften die Existenzgrundlage von Geflüchteten massiv bedroht wird, wird gar nicht mehr kommuniziert. Fluchtursachen bekämpft man besser zusammen mit Geflüchteten-Organisationen und daher ist es ungeschickt, wenn die Parteispitze diesen Organisationen durch die Presse sagt: "Sorry, aber wir brauchen die Stimme von rassistisch motivierten Menschen."

Gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie hilft übrigens, sich mit den betroffenen Menschen und mit Initiativen auseinanderzusetzen. Von Betroffenen erfährt man oft Perspektiven, die sich so auf den ersten Blick nicht erschließen.

RSI: Nochmal zur Öffentlichkeitsarbeit: Was macht aus deiner Sicht gute linke oder linksradikale Öffentlichkeitsarbeit aus - auch unabhängig von Parteien?

Ryk: Die politische Linke muss insgesamt ihre panische Angst vor Außendarstellung überwinden. In der momentanen Situation gibt es eine Menge linksliberaler Popkultur, deren Ansätze man auch ruhig außerhalb von Facebook aufgreifen kann. Die AfD lehrt uns etwas sehr unethisches: Es geht nicht um Positionen im Moment sondern darum, im Bewusstsein der Menschen präsent zu sein.
Das ist kein Appell dafür, jeden Mist medial zu verbrechen, der uns einfällt, doch wir dürfen ruhig auch mal witzig sein. Wir dürfen auch mal etwas posten, was in den Augen der Mehrheitsgesellschaft vielleicht unverständlich ist.

Eine Linke könnte auch mal ehrlicherweise für Arbeitsplatzvernichtung eintreten. Das wäre sehr brachial formuliert und ein Sturm der Entrüstung würde sich breit machen. Wir könnten aber darlegen, weswegen der 8-Stundentag in die 80er-Jahre gehört. Der kritisch-solidarische Diskurs mit Gewerkschaften gehört natürlich dazu.

Beim Thema Geflüchtete hätte DIE LINKE die Möglichkeit gehabt, offensiver im Interesse der Verfolgten aufzutreten. Sie tat es nicht, geflüchtetenfreundliche Wähler*innen in BaWü haben dies bei der vergangenen Landtagswahl ja auch nicht honoriert.

Dann ist es empfehlenswert, dass linke Gruppen sich generell mit Medienvorgängen befassen. Wenn ich linke Facebook-Einträge sehe, sehe ich oft Walls-of-Text mitten im Facebook-Eintrag. Wer soll das lesen? Knackige Überschrift, kurz mit einem Ankündigungstext, dem sogenannten Teaser und Bild versehen und ab durch's Netz. Ein Blick ins Thema Suchmaschinen-Optimierung, den Aufbau einer guten Pressemeldung, sowie eine Einarbeitung in die Eigenheiten von Facebook und Co. schaden auch nicht.

RSI: Was wirst du politisch nun als nächstes angehen?

Ryk: Es gibt in Heidelberg tatsächlich politische Initiativen, in denen Geflüchtete selbst zusammen mit Nichtgeflüchteten aktiv sind. Die Gruppe, in der ich engagiert bin ist noch klein, aber das Potenzial ist riesig. Man trifft sich in einer Gruppe und dann kommuniziert man auch komplexe Inhalte über bis zu sechs Sprachen an einem Abend.

Zuletzt lagen meine politischen Tätigkeiten irgendwo im Organisatorischen. Die Grundzüge von Webauftrittgestaltung, Demo- und Vortragsorga sowie Finanzen abklopfen lernt man ja im Parteiumfeld kennen, wenn man da Lust drauf hat. Das werde ich weiterhin machen. Wenn eine linke Gruppe mich zu Medienarbeit anfragt, sage ich natürlich auch nicht nein, wenn sich ein geeigneter Termin findet.


Hier geht es zu Ryks offizieller Austrittserklärung.