"Fuck you, Linkspartei! Ich will wieder in den Spiegel schauen können!" - Mit diesen Worten ist Ryk Fechner nach über zwölf Jahren aus der Linkspartei ausgetreten. Er war zweieinhalb Jahre lang Landessprecher der Linksjugend ['solid] Baden-Württemberg und sieben Jahre lang im Kreisvorstand der Linkspartei in Konstanz - jeweils mit Unterbrechungen. Hauptsächlich organisierte er Veranstaltungen, motivierte zahlreiche junge Menschen für linke Politik und machte Öffentlichkeitsarbeit für Partei und Jugendverband. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind Antimilitarismus, Antirassismus und Hedonismus. Wir haben mit ihm über die Hintergründe seines Parteiaustritts gesprochen - und darüber, wie eine erfolgreiche linke Öffentlichkeitsarbeit aussehen kann.
RSI: Hallo
Ryk. Zwölf Jahre Mitgliedschaft und Engagement in einer Partei ist eine
lange Zeit. Tag Eins nach dem Austritt: Wie geht es dir?
Ryk:
Naja, ich atme, trinke nach sieben Stunden Erwerbsarbeit mein
Feierabendbierchen und stelle fest, dass die Welt nicht untergegangen
ist. Die Reaktionen waren weitgehend solidarisch. Dass meine Beweggründe
nicht allen schmecken und dass das auch zum Ausdruck gebracht wird,
davon muss man ja ausgehen. Also geht es mir gut so weit, würde ich
sagen.
RSI: In
deiner Austrittserklärung gehst du mit der Partei hart ins Gericht. Du schreibst unter anderem, dass Rassismus
und Antisemitismus in der Linkspartei stark vertreten seien. Was waren vor
zwölf Jahren deine Gründe, in die PDS einzutreten?
Ryk:
Haha, eigentlich Gründe, die man so hat, wenn man aus den neuen
Bundesländern kommt und ein Großteil der Verwandtschaft in weiten Teilen
dem Ostblock hinterherjammert.
2004
machte die Schröder-Regierung Stimmung für die Agenda 2010 und Hartz IV
stand vor der Tür, Schröder und Fischer stimmten Jahre zuvor dem
Bundeswehreinsatz auf dem Balkan zu und ich selbst fand Militärs
eigentlich immer nur in PC-Spielen spannend. Im wahren Leben kann ich
mir bis heute nicht vorstellen, weswegen sich Menschen einen solchen
Stress geben und Krieg spielen.
Intensive
Auseinandersetzungen mit den Themen Rassismus, Antimilitarismus,
Sexismus, Homo- und Queerphobie kamen erst während der Uni-Zeit dazu.
RSI: Lag - rückblickend betrachtet - damals schon einiges im Argen oder hat sich das alles erst mit der Zeit entwickelt?
Ryk: Sicher
war nie alles Friede, Freude, Eierkuchen. Das erwartet man auch nicht,
wenn man in eine Partei eintritt, die mäßig geschickt mit der eigenen
SED-Vergangenheit umgeht. Da sind wir auch schon beim von mir genannten
Austrittsgrund "Pressearbeit": Öffentlich hätte permanent kommuniziert
gehört, dass die Parteibasis 1989 und 1990 bereits dokumentiert und
festgehalten hat, dass ein "Sozialismus von oben" nicht gelingen kann
und dass bereits festgestellt wurde, dass die innerdeutsche Grenze eine
schlechte Idee war.
Warum
hat DIE LINKE an dieser Stelle nicht Folgendes versucht: "Die Lehre
muss sein, dass an Grenzen Menschen sterben. Grenzziehungen sind von den
wenigsten von uns aktiv veranlasst worden, innerhalb welcher wir
geboren sind ist blanker Zufall. Wenn wir die Lehren aus der Geschichte
ziehen wollen, muss das heißen, dass auch Europa die eigenen Schutzwälle
abbaut. Es ist zynisch, wenn man 1.000 Mauertote in 40 Jahren
beschwört, aber die heutige Grenze um Europa außer Acht lässt, an der
das Sterben noch weit präsenter ist." Es
geht dabei nicht um das Aufwiegen von Toten, sondern darum
herauszustellen, dass man radikal humanistisch sein muss, wenn man will,
dass inhumane Taten aufhören.
Ich
erwarte gar nicht, dass die Leute alle mit der Gesamtausgabe von Marx'
Kapital fertig auf die Welt kommen und am siebten Tage nach der
Erschaffung fließend emanzipatorisch sprechen. Man könnte aber von einer
selbsternannten sozialistischen Partei erwarten, dass sie
Bildungsangebote für ihre Mitglieder schafft, dass umgekehrt aber auch
Mitglieder versuchen, ein Gespür für die politische Gesamtheit zu
entwickeln.
Es
reicht nicht, nur gegen Hartz IV zu wettern und den Parteipromis
zuzuklatschen, wenn Schlagworte fallen. Mir ist zunehmend klar geworden,
dass Parteitage oft den Charakter einer Jubelveranstaltung haben. Auf
dem Podium zählt jemand auf, dass er bei der Gewerkschaft, gegen Krieg,
im Betriebsrat ist – der Applaus kommt auf entsprechende Stichworte.
Oder er*sie heißt Gregor, Sahra oder Oskar, da wird das Spiel noch ein
bisschen intensiver und unkritischer gespielt. Das hat einen sehr
religiösen Charakter. Dabei bin ich doch politisch und nicht religiös.
Um
es kurz zu machen (der Zug ist abgefahren, lieber Ryk; Anm. RSI): Ja, diese Probleme bestehen nicht erst seit meinem
Eintritt. Sozialismus lebt davon, sich und die individuellen und
kollektiven Positionen sinnvoll und menschenfreundlich weiterzudenken.
Das muss auch die Linke erkennen.
Ausschlussantrag gegen Lafontaine wurde einfach nicht bearbeitet
RSI: Du
bist niemand der einfach so das Handtuch wirft. Du hast - gemeinsam mit
dem damaligen Landessprecher*innenrat der Linksjugend Baden-Württemberg - einen
Ausschlussantrag gegen Oskar Lafontaine eingereicht. Was war der Anlass
und wie ging es aus?
Ryk:
Der Anlass war ein Interview im Dezember 2015, in dem Lafontaine sich dafür
rühmte, dass er mit der SPD Mitte der 1990er das Grundrecht auf Asyl
beschränkt hatte. Das tat er, um die Neonazistrukturen in den neuen
Bundesländern zu befrieden, nachdem 1991 und 1992 Geflüchtetenunterkünfte in Hoyerswerda und
Rostock-Lichtenhagen brannten. Er verkündete im Interview, er würde dies
jeder Zeit wieder tun. Er bekennt also nach dem Wechsel in eine
angeblich antirassistische Partei, dass er erneut dem Bellen von
Rassist*innen folgen würde, statt sich hinter die Opfer von Hunger,
Krieg und Vertreibung zu stellen.
Ende
des Ausschlussantrags war, dass ich gar nichts mehr gehört habe – er
wurde schlichtweg nicht bearbeitet. Ich frage mich, wie oft man
offensichtlich rassistischen Käse erzählen kann, um sich weiterhin im
Namen der LINKEN äußern zu dürfen? Durch sein Handeln sind nach 1993 um
ein Vielfaches mehr Asylbescheide negativ beschieden worden. Ist es
rühmlich, wenn man es leichter macht, dass Menschen zurück in Kugeltod,
Hunger und Elend zurückgeschoben werden?
RSI:
Du schreibst in deiner Austrittserklärung, dass du das Thema
Antisemitismus nicht mehr untergebracht hast. Viele Menschen wollen
immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich Antisemitismus in der
Linkspartei gibt. Was waren aus deiner Sicht die eindeutigsten und
gravierendsten Vorkommnisse in den letzten Jahren?
Ryk:
Mir fällt da ein, dass mal in NRW eine Pro-Palästina-Demo organisiert
wurde von Seiten der Linksjugend, von der sich anschließend arabische
Nationalisten abspalteten, um eine Synagoge anzugreifen. Oder die
Pro-Palästina-Kundgebung, auf der Annette Groth (MdB, tritt 2017 nicht erneut an; Anm. RSI) von den Kriegsparteien
im Nahostkonflikt forderte, dass "Männer den Krieg unter sich ausmachen
sollten und nicht Frauen und Kinder hineinziehen." Dass auf derselben
Demo nach ihr ein Neonazi aus Sachsen-Anhalt sprach, und frenetisch
bejubelt wurde, als er zum Boykott aller israelischen Produkte aufrief. Meines Wissens hat sich Groth bis heute nie dazu verhalten.
RSI:
Auch hier hast du versucht, diesen Tendenzen parteiintern
entgegenzuwirken. Was genau hast du unternommen und wie hat die Partei
darauf reagiert?
Ryk: Auf
dem Landesparteitag am 6. und 7. Dezember 2014 sollte ich für die
Linksjugend einen Redebeitrag halten. Die Message: Es kann einerseits
nicht angehen, dass einige LINKE-Bundestagsabgeordnete durch die Falltür
"Friedenseinsatz der Bundeswehr" gehen, andererseits ist es ziemlich
uncool, wenn andere LINKE-Bundestagsabgeordnete am 9. November die
Bundestagsräume der Fraktion dazu nutzen, um gemeinsam mit zwei
Journalisten gegen Israel zu wettern - was im berühmten Toiletten-Gate
mündete, als die beiden Journalisten Gregor Gysi bis auf’s Klo
verfolgten.
Wir
wollten klarstellen, dass wir beides nicht gut finden. Im Vorfeld
gelangte der Redebeitrag bis zur Partei und es folgten ein paar Anrufe,
die klarmachen sollten, dass Kritik nicht gerne gesehen ist, wenn Presse
vor Ort ist. Eine selbsternannt pluralistische Organisation sollte doch
aber öffentlich darauf aufmerksam machen können, dass es diverse Dinge
gibt, die diskutiert gehören. Kuscheln kann ich auch daheim, Politik
muss hingegen streitbar und kontrovers sein.
RSI:
Rassismus und Antisemitismus in der Linkspartei sind schon fast ein
alter Hut. Doch du sprichst in deiner Erklärung auch an, dass auch
queere Themen manchmal schwierig sind. Wie genau äußert sich das?
Ryk:
Zum Glück ist das nicht ganz so heftig wie beim Antisemitismus
beispielsweise. Transmenschen werden schon mal schief angeschaut und ich
spüre eine gewisse Distanziertheit, wenn es um Sexismus und Homophobie
geht. Immerhin: Diese Baustelle wird sich irgendwann buchstäblich
überleben. Das
Problem sehe ich hier vor allem in einer mangelnden Reflexion von White
Male Privileges, von den Privilegien weißer Männer. Ich habe es bei
CSDs mehrfach erlebt, dass der Anteil an Frauen und Menschen aus dem
Jugendverband bei Aktionen der Partei schlagartig erhöht, wenn es um
Queer-Themen geht. Da stehen weniger Männlichkeitsideale im
Vordergrund.
Ein anderes Beispiel außerhalb der Partei, was mir lebhaft in den Kopf kommt, ist eine Veranstaltung des DGB in Singen am 1. Mai, als den Tag über hauptsächlich Männer mittleren Alters am Mikrofon den Inhalt skandierten, während die Töchter der beteiligten Familien die Funkenmariechen mimen durften. So was habe ich in der LINKEN glücklicherweise nie mitbekommen.
Gesellschaftliche Perspektiven selbstbewusst nach außen tragen
RSI:
Müsste eine Partei, die sich selbst als antifaschistisch versteht,
nicht ein Interesse daran haben, rassistische und antisemitische
Tendenzen in den eigenen Reihen zu bekämpfen? Alles nur Promi-Bonus für
Lafontaine und Wagenknecht und Geld-Bonus für Dehm?
Ryk: DIE
LINKE muss sich für gesellschaftliche Perspektiven dringend darüber
Gedanken machen, wie sie bildungspolitische Angebote an alle heranträgt.
Ich bin leidenschaftlicher Vortragsgänger, damit immer ein gewisser
Grundstock für eine menschenfreundliche, fundierte linke Argumentation
vorhanden ist.
Dann
würden sich auch mehr LINKE-Mitglieder darüber aufregen, was ihre
Parteispitze da permanent vom Stapel lässt. Lafontaines und Wagenknechts
Antworten sind zu einfach und folgen der Logik "Weil Flüchtlinge da
sind, ist mein Wohlstand bedroht". Dass
durch deutsches Wirtschaften die Existenzgrundlage von Geflüchteten
massiv bedroht wird, wird gar nicht mehr kommuniziert. Fluchtursachen
bekämpft man besser zusammen mit Geflüchteten-Organisationen und daher
ist es ungeschickt, wenn die Parteispitze diesen Organisationen durch
die Presse sagt: "Sorry, aber wir brauchen die Stimme von rassistisch
motivierten Menschen."
Gegen
Rassismus, Sexismus und Homophobie hilft übrigens, sich mit den
betroffenen Menschen und mit Initiativen auseinanderzusetzen. Von
Betroffenen erfährt man oft Perspektiven, die sich so auf den ersten
Blick nicht erschließen.
RSI: Nochmal
zur Öffentlichkeitsarbeit: Was macht aus deiner Sicht gute linke oder
linksradikale Öffentlichkeitsarbeit aus - auch unabhängig von Parteien?
Ryk: Die
politische Linke muss insgesamt ihre panische Angst vor
Außendarstellung überwinden. In der momentanen Situation gibt es eine
Menge linksliberaler Popkultur, deren Ansätze man auch ruhig außerhalb
von Facebook aufgreifen kann. Die AfD lehrt uns etwas sehr unethisches:
Es geht nicht um Positionen im Moment sondern darum, im Bewusstsein der
Menschen präsent zu sein.
Das
ist kein Appell dafür, jeden Mist medial zu verbrechen, der uns
einfällt, doch wir dürfen ruhig auch mal witzig sein. Wir dürfen auch
mal etwas posten, was in den Augen der Mehrheitsgesellschaft vielleicht
unverständlich ist.
Eine
Linke könnte auch mal ehrlicherweise für Arbeitsplatzvernichtung
eintreten. Das wäre sehr brachial formuliert und ein Sturm der
Entrüstung würde sich breit machen. Wir könnten aber darlegen, weswegen
der 8-Stundentag in die 80er-Jahre gehört. Der kritisch-solidarische
Diskurs mit Gewerkschaften gehört natürlich dazu.
Beim
Thema Geflüchtete hätte DIE LINKE die Möglichkeit gehabt, offensiver im
Interesse der Verfolgten aufzutreten. Sie tat es nicht,
geflüchtetenfreundliche Wähler*innen in BaWü haben dies bei der
vergangenen Landtagswahl ja auch nicht honoriert.
Dann
ist es empfehlenswert, dass linke Gruppen sich generell mit
Medienvorgängen befassen. Wenn ich linke Facebook-Einträge sehe, sehe
ich oft Walls-of-Text mitten im Facebook-Eintrag. Wer soll das lesen?
Knackige Überschrift, kurz mit einem Ankündigungstext, dem sogenannten
Teaser und Bild versehen und ab durch's Netz. Ein Blick ins Thema
Suchmaschinen-Optimierung, den Aufbau einer guten Pressemeldung, sowie
eine Einarbeitung in die Eigenheiten von Facebook und Co. schaden auch
nicht.
RSI: Was wirst du politisch nun als nächstes angehen?
Ryk:
Es gibt in Heidelberg tatsächlich politische Initiativen, in denen
Geflüchtete selbst zusammen mit Nichtgeflüchteten aktiv sind. Die
Gruppe, in der ich engagiert bin ist noch klein, aber das Potenzial ist
riesig. Man trifft sich in einer Gruppe und dann kommuniziert man auch
komplexe Inhalte über bis zu sechs Sprachen an einem Abend.
Zuletzt
lagen meine politischen Tätigkeiten irgendwo im Organisatorischen. Die
Grundzüge von Webauftrittgestaltung, Demo- und Vortragsorga sowie
Finanzen abklopfen lernt man ja im Parteiumfeld kennen, wenn man da Lust
drauf hat. Das werde ich weiterhin machen. Wenn eine linke Gruppe mich
zu Medienarbeit anfragt, sage ich natürlich auch nicht nein, wenn sich
ein geeigneter Termin findet.
Hier geht es zu Ryks offizieller Austrittserklärung.